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Cafe Pinguin

Der Markt

Liebe Zwischen den Welten

Arie, der Totengräber

Miriam Loewy

Der Markt



Sie kommen in aller Herrgottsfrühe und entladen ihre Autos, je nach Himmelsrichtung und Landstrich mit Thermoskannen, Flachmännern oder Wasserflaschen ausgerüstet und haben schon eine große Portion Arbeit hinter sich, wenn die ersten Kunden, oft selbst Händler auf der Suche nach Schnäppchen, das Sortiment beäugen. So ist es auf allen Märkten in der Welt. In heißen Ländern sorgt man aus Erfahrung dafür, daß ein Windzug durch den Stand seinen Weg findet, in kalten Ländern weiß man, welches Schuhwerk man braucht, um Stunden bei Minusgraden durchzuhalten. Gemeinsam sind den Markthändlern der Fleiß und die zupackende Art, die durch die gleiche Arbeit beförderte nachbarschaftliche Verbindung auch mit Konkurrenten und der überhaupt nicht demütige Umgang mit Kunden, der sich aus der nüchternen Einschätzung der eigenen Arbeit speist.

In fast allen Ländern sind die Markthändler auch die underdogs gegenüber den arrivierten Ladenbesitzern, proletarisch durch Herkunft oder durch Aufnahme in die Sippe der Händler.

Gemocht habe ich sie schon immer, die Leute vom Markt.

Als ich eines Tages im Auto auf dem Weg zu einem Beduinendorf in Israel im Radio hörte, daß in meiner Stadt, Karmiel, ein neuer Marktplatz fertiggestellt wurde und noch Marktstände zu vergeben seien, sagte ich spontan, ich will einen Marktstand haben, ich will alles lernen, was mit einem Markt zu tun hat. In dieser Zeit arbeitete ich als Journalistin für kleine Lokalblätter und meine Aufgabe war es, unbekannte Dörfer, die in versteckt schönen Landschaften liegen zu erkunden und den Lesern vorzustellen. Der Mann, der mit mir im Auto saß, ein Kollege, lachte herzlich. Du spinnst, sagte er, Du weißt gar nicht, was das für eine Arbeit ist, ach komm, Du machst Witze. Was würdest Du denn verkaufen? Eben, sagte ich, ich habe in meinem Leben noch nie etwas verkauft, ich will wissen wie das ist, ich mache das.










Ich stellte also bei der Stadtverwaltung den Antrag auf einen Marktstand. Natürlich stellte man mir zuerst die Frage, womit wollen Sie handeln? Obst und Gemüse, Fisch oder Fleisch, Backwaren oder Kurzwaren. Nur Kurzwaren kamen in Frage, nichts an ihnen konnte verfaulen oder vertrocknen. Ich kreuzte Kurzwaren an und bekam nach einer Woche die Bestätigung, daß ich ab dem 1.4.89 erst einmal für ein Jahr den Stand Nummer 109 zum Verkauf von Kurzwaren haben würde. Freunde und Kollegen belächelten mich, warnten mich und schüttelten den Kopf, Du hast ja keine Ahnung, sagten sie. Ich hatte keine Ahnung und keine Vorstellung davon, wo ich mir eine Ahnung holen könnte, ich war gleichzeitig aufgeregt, begeistert und neugierig, hatte genau noch 14 Tage bis zur Markteröffnung.

Im Vertrag stand, Sie verpflichten sich, an den Markttagen, Montag, Mittwoch und Freitag, jeweils von 6.00 Uhr morgens bis 13.00 Uhr mittags Ihren Marktstand zu betreiben. Wer seinen Marktstand nicht betreibt, wird vom Markt ausgeschlossen.

In Akko, einer schönen orientalischen Hafenstadt im Norden Israels, einer Stadt, die Saladin, die Kreuzritter und Napoleon gesehen hat, einer Stadt mit vielen Moscheen und Minaretten, einem kleinen vergammelten Fischerhafen am Wasser, deren Bewohner überwiegend Araber und marokkanische Juden sind, gibt es den größten Obst- und Gemüsemarkt im Norden, von Juden und Arabern gemeinsam betrieben, jeden Tag, allwöchentlich. Riesige Haufen Tomaten, Gurken, Wassermelonen, Petersilie, Auberginen türmen sich vor kleinen dunkelhäutigen Verkäufern und Händlern, die laut, mit witzigen und gereimten Sprüchen, ihre Ware anpreisen, der Lärm ist unermeßlich, aber meist rhythmisch, auf diesem Markt wird nicht miteinander gesprochen, sondern miteinander geschrien, ein buntes Chaos, in das sich Hausfrauen in alten Kitteln oder mit umgebundenen Schürzen, manchmal mit kleinen Kindern an der Hand oder im Kinderwagen, stürzen.

Ein kleiner, sehr alter marokkanischer Jude, kaum der hebräischen Sprache mächtig, verkauft aus zwei mit einem Bindfaden aneinandergebundenen Waagschalen, die er mit kleinen Steinen gewichtet, Knoblauchknollen.

Auf meinen fragenden Blick auf diese seltsame, selbstgebastelte Waage hin sagt er, was willst Du, glaubst Du ich würde Dich betrügen? Wieg das hier beim Kollegen nach, ich mache diese Arbeit schon seit 60 Jahren, ich weiß genau, wieviel, eine, zwei, oder drei Knoblauchknollen wiegen, glaub mir, Mädchen. Und ich glaube ihm und wünsche mir, daß er immer auf der Erde bleibt und niemals aus diesem Markt verschwindet, vor allem achte und respektiere ich ihn. Dies ist der einzige Markt in Israel, den zu betreten sich kein Finanzbeamter wagt.





Israelis und Araber arbeiten täglich schwer und eng zusammen und sind sich einig, daß das Finanzamt auf diesem Markt nichts zu suchen hat, weder zur Prüfung noch zur Kontrolle irgendwelcher Vorgänge. Die wenigen Versuche der Beamten, dieses Terrain dienstlich zu betreten, sind kläglich gescheitert, weil alle Händler wie auf Kommando so laut zu singen anfingen, daß jeder, der konnte, den Markt fluchtartig verließ. Ein anderes Mal war es ein gellendes Pfeifkonzert. Gelegentlich geschah auch noch schlimmeres.

In einer Ecke verkaufte ein marokkanischer Mann, vielleicht 50 Jahre alt, Kurzwaren.

Knöpfe, Nadeln, Sicherheitsnadeln, Ohrringe, Stoffreste, Büstenhalter, Socken, Haarschmuck, Hüte, Mützen, Portmoneis, Reißverschlüsse, Haken und Oesen, Stricknadeln, Bleistifte, Luftballons, Plastiklineale, bunte Fäden, Gummibänder und vieles andere mehr. Ich stellte mich seitlich an seinen Stand und überlegte mir, wie ich ihm mein Anliegen beibringen wollte, als er mich mißtrauisch fragte, ob ich vom Finanzamt sei. Nein, sagte ich ruhig, ich habe ein Problem, ich habe einen Marktstand in der Stadt Karmiel, 45km von hier entfernt, gemietet, habe mich verpflichtet, Kurzwaren zu verkaufen, und weiß überhaupt nicht, wie man das macht, wo man die Ware kauft, worauf man achten muß, ich wollte Ihren Rat, ich wollte bei Ihnen lernen. Ach so, Mädchen, sagte er beruhigt, warf sich ein bißchen in die Brust, ging um seinen Stand herum, kratzte sich am Hinterkopf und sagte, senk die Preise nie, Mädchen, jeder Gegenstand hat seinen Käufer, nur man muß Geduld haben, glaub mir. Wenn Ware ein wenig länger liegen bleibt, das ist nicht schlimm, sie findet ihren Käufer, hab keine Angst. Ja, und wo sind die Großhändler? Wo bekomme ich all diese Ware her? Gibt es Mindestabnahmeregeln? ihn zu meinem Verbündeten machend, sagte ich leise, daß kein anderer es hören konnte, ich habe wirklich keine Ahnung, weißt Du...

Er legte seine Hand ruhig auf meine Schulter, gab mir die Adresse der Kurzwaren- und Modeschmuckgroßhändler und wünschte mir alles Gute. Es wird schon klappen, Mädchen, sagte er.

Die Betonstände auf dem schönen neuen Markt in Karmiel waren zwei Meter lang und einen Meter breit, unter ihnen waren Hohlräume, in denen Reserveware untergebracht werden konnte, der ganze Markt war überdacht und verfügte über viele Parkplätze, die den Zugang leicht und das Einkaufen angenehm machen sollten.

Zum Wochenbeginn, fuhr ich nach Tel Aviv, in die Großhändlergasse, die aus lauter alten, kleinen, grauen zweistöckigen Häusern besteht.







Es ist eher ein kleines Straßengeflecht, alles zu Fuß erreichbar, aber sehr eng beieinander, bunt und vielfältig, ein Spielzeugimporteur aus Taiwan, Kurzwaren aus Italien und Deutschland, drei Hutmacher nebeneinander, Haarschmuckgeschäfte, mindestens zehn an der Zahl, Schreibwaren, Luftballons und vieles mehr.

Um nicht in einen Kaufrausch zu verfallen, mir stand nicht mehr viel Geld zur Verfügung, denn ich mußte die Jahresmiete für den Stand im voraus bezahlen, nahm ich mir als erstes den Kurzwarenladen vor, in dem zwei gepflegte Junge Männer saßen. Ich hoffte, daß sie mir keine Vorschriften hinsichtlich einer Mindestkaufmenge machen würden. Die beiden freundlichen jungen Männer sahen mir neugierig bei meinem Durchgang durch ihre Räume hinterher, und als ich sagen wollte, ich habe ein Problem, antworteten sie wie aus einem Munde, das sieht man sofort, Du bist hier neu. Das Eis war gebrochen, sie berieten mich geduldig und ließen mich jede mir passende Menge von Nadeln, kleinen Scheren, Fingerhüten, Nähgarnen zum Mitnehmen auf den Tisch häufen. Und dann stand ich plötzlich vor einer großen Schrankwand mit wunderbaren gläsernen Schubladen, in deren Innerem sich Knöpfe befanden: Große Knöpfe, kleine Knöpfe, bunte, runde, viereckige, blumenförmige, glänzende, stumpfe, silberne und goldene. Ich möchte von allen Knöpfen ein paar wenige haben, sagte ich ihnen und spürte, daß ich in meine Kindheit versetzt war, in der ich Knöpfe zum Spielen hatte, ich fühlte mich zu Hause, wie in meinem damaligen Kinderzimmer, nur daß diesmal keiner eine Vorauswahl traf und mir Knöpfe zuteilte, sondern ich stand da, an der großen, schönen Quelle, und konnte wählen, was ich wollte, und ich wußte damals schon, daß einige Stücke dabei sein würden, von denen ich mich nicht wieder trennen würde. Der Kauf geriet viel umfangreicher als geplant, wobei ich noch gar nicht wußte, wie ich die Knöpfe auf dem Tisch des Marktstandes unterbringen würde, ich bezahlte hastig und lief knöpfetrunken in den nächsten Laden, in dem Haarschmuck geboten wurde.

Der Besitzer, ein etwa 30jähriger sportlicher junger Mann, kam mir schon an der Tür entgegen, bevor ich den Laden betrat und sagte, hier kannst Du nicht kaufen, mit Anfängern mache ich keine Geschäfte. Ich bog eilig aus diesem Laden wieder aus, lief in den nächsten und dann wieder in den nächsten, kaufte ein, fürchtete, daß ich mich verschätzt hatte, und war kurz vor Ladenschluß mit vier riesigen prall gefüllten Plastiktüten auf der Straße und wartete auf ein Taxi, das mich 180 Kilometer weit nach Karmiel fahren sollte in meine unbekannte Zukunft als Markthändlerin.







Am Tag drauf besuchte ich einen Buchhalter, den ich darum bat, mir zu erklären, was ich zu beachten hätte und wie ich buchführen müßte. Ich fragte ihn, ob ich Quittungsblocks brauchte und erzählte ihm, wie unfähig ich zum Rechnen sei.

Auch er gab mir alle für den Start nötigen Informationen, und nun war die Besorgung von Dekorationsstützen, Styroporköpfen für die Hüte, Gefäßen für die Knöpfe, Schachteln für die Nadeln, Tragetüten und Quittungsblöcken dran. Eine Freundin besorgte mir aus ihrem Arbeitsbereich kleine verschließbare Plastikbecher, die ich für die Unterbringung der Knöpfe wollte. Ich packte alles sorgfältig in meine Koffer und in leerstehende Kartons und wartete auf den übernächsten Tag, an dem die Vorstellung auf dem Markt losgehen würde. Ich sah mich mehr als Regisseur für eine kleine Bühne denn als Verkäufer.

Es dauerte zweieinhalb Stunden, am Morgen der Markteröffnung, bis ich meine kleine Bühne fertig dekoriert hatte, bis alles so untergebracht war, wie ich es für richtig hielt und haben wollte. Jetzt erst sah ich mich um. Hinter mir verkaufte Ali, ein kleiner arabischer Junge, Gurken und Tomaten, zu meiner Linken war eine Frau, die Nagellack, Lippenstifte, Seifen und Parfüms anbot, Rina, in den mittleren Jahren ihres Lebens, blondgefärbtes Haar, ein hartes Gesicht und einen bodyguard als Mann. Zu meiner Rechten stapelten sich Unmengen Keks- und Schokoladenkartons, die von einem älteren korpulenten Ehepaar feilgeboten wurden, die beide viele Goldzähne im Mund hatten und fortwährend freundlich lächelten. Ich setzte mich hinter meinen Stand auf meinen mitgebrachten Klappstuhl und schämte mich nun in Grund und Boden, daß ich hier offensichtlich zum Verkauf meiner Ware angetreten war. Ich saß verkrampft in meinem Stuhl, tat so, als würde mich nichts interessieren, sah unbeteiligt in die Ferne und versuchte zwischendurch heimlich zumindest die Reaktionen der anderen Händler, die an meinem Stand vorbeiliefen, an ihren Gesichtern abzulesen. Ich fühlte mich fremd und allein, wäre am liebsten weggelaufen und nahm von Stunde zu Stunde langsam wahr, daß ich mich diesmal wirklich weit vorgewagt hatte.

Zwei Stunden nach Marktbeginn kamen Freunde mit einer Flasche Wein und einigen Pappbechern zum Anstoßen auf mein neues Geschäft, zum Glückwünschen und zum "Start-Segnen". Die Händler um mich herum schlossen sich an, fanden die Neue nun noch seltsamer als am Anfang und versprachen, mich im Clan der Händler aufzunehmen.

Ali, der kleine Araber hinter mir, sagte gegen Mittag, „Du mußt aufstehen, Du kannst nicht in Deinem Stuhl sitzen bleiben, Du mußt so tun, als ob Du die ganze Zeit beschäftigt bist, ordne, putze, lauf hin und her, sei geschäftig“.





Es war mir peinlich, „wieso?“ sagte ich, „wenn einer was will, kann er es sagen“. Kurz vor Marktschluß erbarmte sich eine arabische Kundin, meine erste Kundin, und kaufte eine kleine Schere und vier Knöpfe. 9.- Schekel habe ich am ersten Tag meiner Arbeit auf dem Markt eingenommen, ich war stolz und packte meine Habe anderthalbstundenlang Stück für Stück sorgsam wieder ein. Nachmittags ging ich dann zur Bank und zahlte auf mein neueröffnetes Geschäftskonto 9.- Schekel ein, der Bankangestellte traute seinen Augen nicht...

Am zweiten Markttag, gleich zu Beginn, kam Marius, der beste Kurzwarenhändler, ein kleiner, zierlicher rumänischer Israeli auf mich zu und sagte lachend, Du wirst nie eine Konkurrenz für mich sein, wenn Du nicht aufstehst und um Deinen Marktstand herumläufst. Er hatte eine schöne lockige Haarpracht auf dem Kopf und lachende, freundlich-verschlagene Augen und bewegte sich mir gegenüber, obwohl ich älter bin als er, mit einer fast großkotzigen Überlegenheit. Knöpfe, sagte er, wie willst Du damit Geld machen. Ich liebe Knöpfe, sagte ich ihm und sah ihm direkt in die Augen, was Du liebst, interessiert hier keinen, erwiderte er hart und gnadenlos.

Ein sportlicher Mann kam zielsicher auf meinen Stand zu, nahm mit zwei Fingern einen Knopf aus seiner Hemdtasche, einen schönen glänzenden blauen Knopf, hielt ihn mir vor die Nase und fragte, hast Du so einen? Nein sagte ich opferbereit, aber wenn Du ihn hierläßt, kann ich Dir so einen besorgen...

Marius, der kleine Rumäne tippte sich an die Stirn, machte eine abfällige Handbewegung und ging federnd in Richtung seines Standes, der weit von mir entfernt war und in dem er zwei Verkäuferinnen beschäftigte. So wird es nicht gehen, rief er mir noch von weitem zu und verschwand.

Der zweite Tag brachte 19.- Shekel, immerhin. Auch die brachte ich zur Bank, auf mein Geschäftskonto, diesmal mokierten der Schalterbeamte und ich uns schon gemeinsam über die Tageseinnahme.

In Wahrheit aber fand ich jede Stunde auf dem Markt spannend; würde etwas, was ich ausgewählt habe, einem Kunden gefallen, und welcher Gegenstand welchem Kunden. Um mich herum wurde der Gurkenali Tonnen von Gemüse los, das Keksehepaar kam der Nachfrage nicht nach, und ich überlegte, welcher Gegenstand welchem Kunden gefallen würde...

Aber das Geschäft wurde von Tag zu Tag besser, Kunden kamen schon auf mich zu und baten darum, daß ich ihnen beim nächsten Einkauf aus Tel Aviv spezielle Gegenstände mitbringen soll.






Eine junge Frau bot mir ihren Dienst an, sie wollte extra für mich, also für meine Kunden Ohrringe herstellen, über den Preis und die Art des Schmucks wurden wir uns schnell einig. Ich stellte noch die Bedingung, daß sie für keinen anderen Händler auf diesem Markt arbeiten dürfe. Ein ungarischer älterer Mann holte sich bei mir einmal in der Woche Nähnadeln, ein arabischer Nähereibesitzer kaufte Knöpfe in großen Mengen und verlangte Rabatt, es kam schnell so weit, daß ich wieder nach Tel Aviv fahren mußte, um den Warenbestand aufzufüllen. Ein Freund aus Jerusalem kam vorbei, sah sich die schöne Dekoration meines Standes an, nahm mich zu Seite und fragte flüsternd, weiß Du eigentlich, in was für Gefäßen Du die Knöpfe untergebracht hast? Ja, sagte ich, Du siehst es, diese Plastikbecher, mit dem grünen Deckeln. Ja sagte er eindringlich, aber weißt Du was für Becher das sind? Nein, sagte ich gespannt. Das sind Urinbecher, die Freundin, die sie Dir besorgt hat, ist sicherlich Krankenschwester, und sie hat einfach einen Satz Becher aus dem Krankenhaus mitgehen lassen.

Rina, die verhärmte Nachbarin, die zu Anfang Nagellack, Parfüm und Seife verkauft hatte, verlegte sich von Tag zu Tag mehr auf das Kopieren meiner Ware; hatte ich Luftballons, waren tags drauf auf ihrem Tisch Luftballons zu haben, hatte ich grellbunte Schnürsenkel, waren eben solche am nächsten Tag auf ihrem Stand zu sehen, sie fing an ihr Warenangebot so auszuweiten, daß sie zur Konkurrenz für mich wurde. Ihr Mann, sie und ihre Kinder liefen abwechselnd vor meinem Stand hin und her, manchmal schickten sie Freunde vor, um Preise auszuspionieren, ihre finsteren Blicke wollten mich durchbohren.

Marius, der Kurzwarenkönig, kam vorbei und hatte schon mal ein gutes Wort, vor allem hinsichtlich der Tatsache, daß ich die ganze Arbeit allein und ohne jede Hilfe machte, komm doch, sagte er, am Schabbat und am Sonntag auch in die arabischen Dörfer, dort ist dann immer Markt, es läßt sich gerade an diesen Tagen gut verdienen.

An regnerischen Tagen ist die Arbeit mühselig, die Ware muß mit Plastikfolien abgedeckt werden, damit sie nicht kaputtgeht, aber so, daß sie von den Kunden noch gesehen wird, von den wenigen Kunden, die in diesen Tagen kommen und nur eilig das Notwendigste kaufen. An solchen Tagen verlassen die Händler ihre Stände, besuchen sich gegenseitig, erzählen sich Familiäres und Geschäftliches und feilen an dem schon seit langem existierenden Warnsystem, für den Fall, daß jemand vom Finanzamt kommt. Auch mich besuchen an solchen Tagen einige Händler, manchmal kaufen sie sogar etwas, wie Ali, der mir erklärt, seine Mutter braucht Nähgarn, für seine Frau braucht er Ohrringe, und für sich selbst ein paar Socken.






Marius inspiziert meinen Stand nach wie vor aufmerksam. Wenn er etwas entdeckt, was auch bei ihm zu haben ist, fragt er mich schadenfroh, für wieviel Geld ich diese Ware erstanden habe. Auch ich habe mir mit der Zeit angewöhnt, nicht mehr ganz so offen mit meinen Auskünften zu sein, Geschäft ist Geschäft. Die Frau mit den Goldzähnen setzt sich eines Tages zu mir und fragt: Was weißt Du über Knöpfe? Du verkaufst sie hier und weißt gar nichts drüber, ich kann Dir genau sagen, woraus die Kekse bestehen, die ich verkaufe, wie lange sie haltbar sind, und warum diese Sorte besser für Dich ist als jene. Ich weiß tatsächlich kaum etwas über Knöpfe, für mich sind sie eher so etwas wie bunte Murmeln, erzähl, sage ich zu ihr, erzähl, was Du über Knöpfe weißt. Sie legt ihre dicken Hände auf ihre Oberschenkel, nimmt eine bequeme Haltung an und beginnt, zu referieren wie in der Schule, Mira, mit ihren fast 60 Jahren. Sie erzählt mir, daß es schon vor 500 Jahren Knöpfe gab, daß es eine phnatastische Idee ist, zwei Stoffteile auf diese Weise miteinander zu verbinden, sie sagt, sie hätte gern das Patent angemeldet, dann brauchte sie nicht auf dem Markt zu sitzen. Sie war schon einmal in einer Ausstellung, in der alte Knöpfe gezeigt wurden, mit Stoff bespannte Steine, durchbohrte Tierknochen oder durchlöcherte Münzen. Und schöne alte Knöpfe gibt es, wie sie früher die Fürsten als Schmuck getragen haben oder die reichen Händler, aus Gold und Silber und Edelsteinen. Es gibt Sammler und Sammlerbörsen, weißt Du, was so ein 200jahre alter Knopf wert ist? So etwas hast Du ja leider nicht, und heute macht sich keiner Gedanken darüber, wenn er sein Hemd zuknöpft.

Ich sehe Mira, die Keksverkäuferin, erstaunt an, sie, die in ihren schlampigen Klamotten um ihren unförmigen Leib die Tage sonst eher dösend verbringt, ich will noch mehr von ihr wissen, aber ihr Mann stellt sich vor meinen Stand und fragt, seine Goldzähne zur Schau stellend, ob wir Weiber nichts anderes zu tun haben, als miteinander zu quatschen.

Ich schrecke auf, habe für einen Moment völlig vergessen wo ich bin, halte Mira, die hastig aufgestanden ist, fest, woher weißt Du das alles? Tja, sagt sie, 1948, nach der Staatsgründung, hat ein Mann in Haifa eine Tonne voller Knöpfe gefunden, es ging damals durch alle Zeitungen, er stellte sich mit dieser Tonne auf die Straße und verkaufte Knöpfe, er ist so reich geworden, daß er heute in New York lebt. Ich wollte damals auch reich werden und mit Knöpfen handeln, und habe mich dann erstmal erkundigt. Sie watschelt eilig zu ihrem Stand zurück, und jetzt erst nehme ich wahr, daß ein schöner runder Mann, mit großen dunkelen Augen und einem buschigen Schnurrbart grob mit der Ware auf meinem Tisch umgeht.





Würdest Du das bitte lassen“, sage ich sauer, er macht weiter und reagiert nicht, „hei“, sage ich, „würdest Du die Dinge bitte liegen lassen!“ „Ich bin vom Finanzamt und will Deine Bücher sehen“, sagt er und sieht mir so direkt in die Augen, daß ich weiß, er ist darauf geschult, Händler zu verunsichern und gleichzeitig wahrzunehmen, ob sie unsicher werden. „Komm bitte rum und sieh Dir meine Bücher“ - es sind mehr Hefte - an. Er setzt sich auf meinen Stuhl, läßt sich von mir den Inhalt meiner kleinen roten Kasse vorzählen, blättert in den Heften hin und her und verkündet zum Schluß, „Dir fehlt ein Shekel in der Kasse, Du wirst von uns hören“, und geht wieder.

Die Händler um mich herum hatten in der Zwischenzeit genügend Zeit, ihr Warnsystem in Gang zu setzen, bei Marius hat es zur Folge, daß er seine nicht in den Büchern eingetragenen Beträge in seine Socken stopft und dann immer aussieht, als hätte er Wasser in den Beinen. Einige Händler kommen tröstend auf mich zu, heute hat es Dich erwischt, sagt Ali, das mit dem Shekel, das kann Ärger bringen, ich sag es Dir, aber nimms nicht schwer, jeder von uns ist mal dran und dann erzählt jeder ein Erlebnis, das er mit dem Finanzamt hatte, augeschmückt und übertrieben, Seemannsgarn eben.

Rina, meine unfreundliche Nachbarin, funkelt mich schadenfroh an.

Am folgenden Tag hat Rina ein schönes blaues Zelt um ihren Stand gebaut, die Folge ist, daß mein Stand nicht mehr zu sehen ist. Ich rufe den Marktmeister und frage ihn, ob es rechtens ist, daß einer so etwas tut, er zuckt mit den Schultern und sagt, klär das bitte mit der Stadtverwaltung.

Gurkenali, Keksemira und Marius finden sich bei mir ein, raten zum Protest und zeigen Solidarität. Nach Feierabend schicke ich dann eine offizielle Anfrage an die Stadtverwaltung und erhalte tagelang keine Antwort.

Eine Woche nach der Absendung meiner Beschwerde, als ich meine kleine Bühne wieder ordne und für die Kunden vorbereite, sehe ich einen ein Meter langen Schnitt in Rinas Zeltwand. Gleich nach Marktbeginn kommen zwei Polizisten auf mich zu, nehmen meine Personalien auf und fordern mich auf, nach Dienstschluß aufs Revier zu kommen, ich werde beschuldigt das Zelt aufgeschlitzt zu haben, also Sachbeschädigung.

Die Niedertracht trifft mich voll, ich kann mich vor Schreck und Wut kaum bewegen, merke, daß ich mit meinen Tränen kämpfe, und Ali, der das ganze aus sicherem Abstand beobachtet hat, kommt auf mich zu, legt seine Hand auf meine Schulter und sagt: Du wolltest Markt, das ist Markt.






Auf dem Polizeirevier fällt es mir anhand der Kopie meines Schreibens an die Stadtverwaltung nicht schwer zu beweisen, daß Absprache eher mein Stil ist als Zerstörung. Die Feindschaft zwischen Rina und mir ist inzwischen marktbekannt.

In den folgenden Tagen gelingt es mir, weil ich einen europäischen Hintergrund habe und mit der Bürokratie besser zurechtkomme, Rina zum Rückzug zu bewegen, aber ihr Haß ist geblieben.

Die Atmosphäre in Israel wurde immer gespannter, die Menschen begannen sich mit Reserven für den Kriegsfall einzudecken, Probealarmübungen wurden abgehalten. Die Mitarbeiter der kleinen Zeitung, für die ich früher arbeitete, baten mich zurückzukehren. Kurz vor Beginn des Golfkriegs, habe ich meinen Marktstand aufgegeben. Einen Teil der restlichen Ware an Marius verkauft, er hat mir dabei eine Lektion erteilt, wie man Preise drückt. Er ist ein Gauner und er versteht sein Geschäft.

Auf dem Markt in Karmiel arbeiten noch heute Araber und Juden zusammen, machen sich Konkurrenz und halten zusammen, und manchmal sind die Konflikte der jüdischen Händler untereinander größer, weil ein rumänischer Israeli einem ungarischen Israeli, einem russischen Israeli oder gar einem marokkanischen Israeli ganz gern die Hölle macht. So groß der Streit auch ist Konflikte und Auseinandersetzungen enden wie ein Gewitter, wenn ein Finanzbeamter auftaucht oder der Marktmeister jemanden ärgert. Rina ist eine Ausnahme.

Zurück in Deutschland, merkte ich nach einiger Zeit, daß ich immer noch vom Marktfieber befallen war. Ich bot daher Freunden, die jedes Jahr einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt betreiben, meine Hilfe an.

Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen dem israelischen Sommer und dem deutschen Winter, zwischen einem orientalischen Basar und einem deutschen Weihnachtsmarkt. Und dennoch ist vieles ähnlich. Die Marktleute sind vom gleichen Schlag, fleißig, zupackend und in der Not solidarisch, oft im Streit und trickreich gegenüber bürokratischen Schikanen, Konkurrenten und Nachbarn zugleich, grob und gutmütig.

Ich mag sie, die Leute vom Markt.


ENDE