© für Text und Inhalt bei Miriam Loewy
© für Zeichnungen bei Rainer Oxfort
Bulu Bulu

Das freche Ding ist aus den Augen verschwunden

Gombutschka

Fremdes im Vertrauten

Bulu-Bulu

Oder: Eine andere Art von Kommunikation:

Call Center


Erzählerstimme:


"Ich verstehe nicht , was Sie mit "Glocke" meinen, sagte Alice.

Humpty Dumpty lächelte verächtlich: "Wie solltest du auch-ich muß es dir doch zuerst sagen. Ich meinte , "wenn das kein einmalig schlagender Beweis ist“.

"Aber ,"Glocke " heißt doch gar nicht "einmalig schlagender Beweis", wandte Alice ein.

"Wenn ich ein Wort gebrauche", sagte Humpty Dumpty in recht hochmütigem Ton "dann heißt es genau, das, was ich für richtig halte, nicht mehr und nicht weniger."

"Es fragt sich nur", sagte Alice," ob man Wörter etwas anderes heißen lassen kann."

"Es fragt sich nur", sagte Humpty Dumpty, "wer der Stärkere ist, weiter nichts".

Aus: Lewis Caroll:Alice hinter den Spiegeln.


Sprecherin:


Als meine Großmutter Heps noch lebte, war sie für meine Schwester und mich Anlaufpunkt für alle Sorgen und Wünsche.

Sie hörte sich mit größter Geduld und Aufmerksamkeit unsere Probleme an. Manchmal schüttelte sie sorgenvoll ihren Kopf und sagte:" Kind, Kind, denk doch erst einmal nach, bevor Du alles hinwirfst" und gab mir dann von der Suppe zu essen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit vor sich hin köchelte, bis ich mich beruhigt hatte .Oft gab sie mir guten Rat immer gab sie mir das

Gefühl, daß Sie für mich da war. Sie wußte ,daß es wichtig war, miteinander zu sprechen. Das Wort "Kommunikation" hat sie nie verwendet.

Die wichtigste Eigenschaft eines Menschen war für sie "Herzensbildung". Den Sinn dieses altmodischen Wortes habe ich sofort begriffen, ich habe aber nie versucht ihn in moderne Begriffe zu übersetzen.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto unübersetzbarer erscheint es mir. Ich kann einige Elemente aufzählen: Miteinander reden, wenn es darauf ankommt; Mitfühlen , Empathie; für den anderen da sein; ehrlich sein; die erworbene Bildung nutzen für ein Miteinander, das dem anderen gerecht



wird; den richtigen Ton treffen; nicht abweisend, hochmütig, genervt sein, wenn der andere in Not ist; in jeder Situation menschlichen Anstand wahren; nicht die eigenen Maßstäbe dem anderen aufzwingen; warmherzig sein. Dies sind nur einige Aspekte dieses Begriffs, er enthält noch viel mehr.

Es wäre einfach, statt Herzensbildung den Begriff "kommunikative Fähigkeiten" zu verwenden. Aber das wäre ebenso richtig wie unzureichend.

In den Lehrbüchern zu Themen wie Führungskultur in Unternehmen, Human Relations, Personalmanagement etc. spielt der Begriff "Kommunikation" eine herausragende Rolle. Er läuft darauf hinaus, daß der Mitarbeiter nicht nur das tut, was er tun soll, sondern daß er es gern tut.

Armeen von Psychologen tüfteln an dem Problem herum, den Mitarbeiter zu "motivieren" , d. h. ihn davon zu überzeugen, daß er etwas für sich tut, wenn er etwas für das Unternehmen tut.

Reden wir von derselben Sache, wenn wir Kommunikation als Schlüsselbegriff verwenden?

In Karmiel in Israel hatte ich einen Marktstand. Jeden Morgen habe ich meinen kleinen Stand mit Knöpfen, Kurzwaren, Bändern, Hüten etc. mit viel Liebe und Sorgfalt aufgebaut.

Eines Tages entdeckte meine Freundin, daß die Dekoration auf mich hinter dem Stand ausgerichtet war. Auf die Wirkung nach außen , für die Käufer kam es mir nicht an.

Nie wäre mir eingefallen, zögernde Käufer davon zu überzeugen, meine Ware zu

kaufen; auch als Käufer bin ich kein gutes Objekt für Überredungsversuche.

Wenn ich etwas brauche, gehe ich gezielt in den Laden, kaufe mir das nötige

und bin nach 5 Minuten wieder draußen.

Ganz anders meine Schwester. Sie kann einem Kunden die ältesten Ladenhüter

verkaufen, auch wenn er nie die Absicht hatte, etwas derartiges zu erstehen.

Bin ich deshalb unkommunikativ?

Für mich haben Miteinanderreden und etwas ( eine Idee, ein Produkt) verkaufen nichts miteinander zu tun. Vielleicht bin ich ja nur hoffnungslos altmodisch.

Die Idee, mich für eine Recherche im Callcenter zu bewerben, kommt mir während eines Internetkurses. In meiner Klasse sitzt eine Frau, die in den letzten drei Jahren ihren Lebensunterhalt als Mitarbeiterin im Callcenter verdient hat. Es interessiert mich, wie die Bewerber ausgesucht und und für Servicegespräche geschult werden.

Ich habe keine Ahnung was ein Callcenter ist, habe aber bei der Durchsicht der Stellenanzeigen festgestellt, daß immer häufiger Stellen für Callcenter-Agents angeboten werden. Das Faszinierende an den Stellenanzeigen ist, daß nicht etwa ein neuer Mitarbeiter gesucht wird, sondern dreißig, fünfzig, in einer Anzeige sogar 150.



Selbst als ich mich schon entschlossen habe , mich als Callcenteragent zu bewerben, weiß ich weder, daß ich in meinem Alltag sehr oft mit Callcenterdiensten zu tun habe, noch welche Voraussetzungen ich als künftige Mitarbeiterin eines Callcenters mitbringen muß.

Schon während meiner ersten Anrufe bei den Stellenanbietern stelle ich erstaunt fest, daß mein Alter , ich bin 50 Jahre alt, keine Rolle spielt.

Als erstes verabrede ich einen Termin bei einer Firma, die auf einen Schlag 150 neue Mitarbeiter einstellen will.

Zum genannten Zeitpunkt stehe ich vor einem mittleren Hochhaus, in dessen fünftem Stockwerk ich mich einfinden soll. Ich tue mich bei der Benutzung von Fahrstühlen schwer. Junge Männer und Frauen stürmen an mir vorbei in das Haus. Ich schließe mich einer Gruppe junger Leute an, die auch in die fünfte Etage fährt.

Wie klein ich bin, denke ich im überfüllten Fahrstuhl, dicht gedrängt werden wir von einem unhörbaren Druck nach oben gepreßt......

Im Büro , in dessen Vorraum der leise fahrende Aluminiumfahrstuhl uns entläßt, empfängt uns eine elegante ältere Sekretärin, die die Namen in der vor ihr liegenden Liste mit den von uns ausgegebenen Namen vergleicht und uns in einem Raum begleitet, der schon überfüllt ist und in dem außer den vielen Menschen ein Kaffee- und Cola-Automat stehen. Große Glasfensterfronten geben einen weiten Blick auf die Dächer von Berlin frei.

Aus den Hinweiszetteln, die an einer großen Pinnwand hängen, läßt sich schließen, daß es sich normalerweise um den Pausenraum der Büromitarbeiter handelt. Es sind überwiegend Studenten und Studentinnen in dem überfüllten Raum, nur einige wenige ältere Männer und Frauen wie ich.

Die Sekretärin führt immer mehr Bewerber in den Raum , und während ich überlege, wie so eine Massenvorstellung funktionieren soll, sehe ich an der Wand den silbernen eckigen Mann, der einem Pfeil hinterherläuft, das Fluchtwegezeichen, das jeder aus Hotelaufenthalten kennt.

Auf der Pinnwand steht in großen Buchstaben: "Im Falle eines Brandes bitte nicht die Fahrstühle

benutzen".

Ohne es so zu wollen, wie in Trance, höre ich mich der Empfangssekretärin sagen: "Bitte streichen Sie mich von der Liste, dankeschön", erst am silberfarbenen Fahrstuhl merke ich, daß keiner außer mir herunterfährt, ich bin allein und habe mein Fahrstuhlproblem. Noch während ich überlege, ob ich jemanden nach dem Treppenhaus fragen soll ,kommt ein sehr freundlicher junger Mann aus dem Büro und fragt, ob ich fort will. Als ich es bejahe, findet er es schade und möchte wissen warum.



"Wenn Sie mit mir herunterfahren, sage ich es Ihnen gerne", sage ich, und er steigt mit mir in

den leisen Fahrstuhl, in dem ich mich wie eine Münze im Safe fühle, er sieht mich fragend an und mit der stummen Pantomime einer Stewardeß, die den Fluggästen die vermeintlichen Notausgänge vorstellt, sage ich: "Das kann ich mir nicht vorstellen, täglich die Tortur, auf mehrere Fluchtwege starren zu müssen und dabei ruhig und effektiv zu arbeiten."

Als ich wieder auf der Straße bin, ist mir klar , daß ich mich noch nicht einmal beworben habe und immer noch nicht weiß , was Callcenter sind.


1. Sprecher:


Deutschlandweit gibt es rund 14000 Callcenter, die insgesamt 300.000 Mitarbeiter beschäftigen. Airlines, Krankenkassen, Versandhäuser, Banken und Versicherungen wickeln ihre Geschäfte über das Telefon ab.

So verzichten die Unternehmen auf die Einrichtung von teuren Büros für den Publikumsverkehr. Die vom Empfang oder Pförtner bediente überkommene Telefonzentrale ist out.

Buchungen, Beratungen, Bestellungen lassen sich telefonisch regeln, unabhängig von Ladenöffnungszeiten, möglichst rund um die Uhr.

Aquise, Verkauf, Marktforschung und vor allem individuelle Beratung sparen dem Unternehmen und dem Kunden lange Wege und Zeit.

Werbekampagnen und Infohotlines, die direkte Bearbeitung von differenzierten Kundenwünschen haben eine neue boomende Servicebranche entstehen lassen.


Sprecherin:


Der nächste Anbieter von Callcenteragentstellen ist eine bundesweit bekannte Arbeitsvermittlungsfirma. Schon bei meinem ersten Anruf werde ich mit einem Fragenkatalog konfrontiert:


a) Wie viele Sprachen sprechen Sie?


b) Wie reagieren Sie in Streßsituationen?


c) Was ist für Sie Streß?


d) Haben Sie PC-Kenntnisse?


Die Stimme, die mich abfragt, ist fast eine Kinderstimme. Weil meine Antworten halbwegs annehmbar sind, soll ich mich am folgenden Tag vormittags zu einem Vorstellungsgespräch einfinden.

Diesmal ist es eine erste Adresse am Potsdamer Platz, ein schönes großes fensterreiches Büro, in dem mich das junge Mädchen in Empfang nimmt, das mit mir tags zuvor am Telefon gesprochen hat. Sie begleitet mich in einen kleinen Konferenzraum, in dem schon sechs oder sieben Menschen sitzen, an jedem Platz ein Kugelschreiber und Schreibpapier, ebenso wie Testbögen.

Der kleine Raum füllt sich, ca. 15 Personen finden Platz, es sind überwiegend Frauen, zwischen 25 und 60 Jahre alt ,und drei Männer. Auf dem Tisch stehen Gläser und Flaschen mit Erfrischungsgetränken, eine junge Frau, die auf ihrem Blazer das Emblem der Firma trägt, betritt den Raum, begrüßt die Anwesenden locker und weist auf die Testbögen hin, die wir ausfüllen sollen. Es dürfe so eine viertel Stunde bis 20 Minuten dauern sagt sie beim Verlassen des Raumes, "dann komme ich wieder".

15 einander fremde Menschen beugen sich über die Testbögen , einige nehmen sich ein Getränk, in der Stille hört man hin und wieder ein Papierrascheln.

Es sind fünf Fragebögen, die beantwortet werden sollen, die Fragen nach Schulbildung sind die einfachsten.

Dann werden Konfliktsituationen in Bild und Wort dargestellt, wir sollen uns positionieren.

Die letzten Fragen betreffen Arbeitszeit und Gehaltsvorstellungen.

Die Agenturvertreterin sammelt die Blätter ein und bittet jeden von uns, sich vorzustellen, für mich eine der einfachsten Übungen und eine Sache, die ich sehr gern erlebe.

Eine 26-jährige hat schon mal im Callcenter gearbeitet:

"Inbound oder Outbound", fragt die Agentin. "Inbound " sagt die junge Frau;- Was ist das, 'Inbound', denke ich, um Gotteswillen und was ist 'Outbound'?

Eine 33jährige abgebrochene Jurastudentin möchte gehobener im Callcenter arbeiten, sie wirkt unzufrieden, scheint aber Bescheid zu wissen.

Ein älterer Mann kann sich vorstellen, daß er sich in eine solche Arbeit einfindet, er ist zurückhaltend und hat eine gute Stimme.

Eine riesige Frau , die vielleicht eher als Köchin in Frage käme, verweist auf Erfahrungen von der Pike auf, wie sie sagt.

Als die Vorstellungsrunde beendet ist , werden wir gebeten , am nächsten Tag bis 14 Uhr anzurufen, unsere Einschätzung mitzuteilen und zu hören, wie die Vermittlungsagentur unsere Chance sieht.

Wir verabschieden uns wie alte Freunde voneinander. Im Doppeldeckerbus auf dem Heimweg freue ich mich darüber, daß ich auf dem Arbeitsmarkt eine reale Chance zu haben scheine, auch wenn ich gar nicht ernsthaft die Absicht habe, als Callcenteragent zu arbeiten

Am folgenden Tag sollte ich bis 14 Uhr anrufen. Das tue ich auch und sage ohne Umschweife, daß ich mich nicht für geeignet halte. Die Agentin bestätigt mir diese Einschätzung mit freundlichen Worten: "Ich glaube nicht, daß sie mit dieser Arbeit glücklich werden", sagt sie locker und ich bin erleichtert, zumal ich jetzt endlich weiß, was Inbound und was Outbound ist.

Inbound steht für die Entgegennahme von Kundenanrufen; Auskunftsdienste, Bestell-, Buchungs- und Auftragsannahme, Beschwerde- und Reklamationsmanagement, Informationsservice, Notfallservice, Schadensbearbeitung und Supportservice.

Outbound bedeutet, daß der Call Center Agent die Kunden anruft; Markt-, und Meinungsforschung, Verkauf, Adressenverifikation, Kündigungsprävention, und Kundenaquisition.

Aber ganz sicher bin ich mir nicht und da war noch so eine nette Anzeige, auf die ich mich noch melden wollte, eine Firma sucht 20-30 Callcentermitarbeiter, mein Alter scheint meinen Gesprächspartner am Telefon geradezu zu faszinieren.

Vorstellungsgespräch am nächsten Tag: Diesmal auf einem Neugründerareal.

Neugründerareale sind heute in Berlin meist stillgelegte Fabrik- oder Brauereigebäude, deren Räume saniert und Jungunternehmern zu günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden. Beim Klingeln bei der jungen Firma muß ein Code eingegeben werden, das ist eine elektronische Neuheit, die ich noch nicht kannte.

Der junge Chef der Firma empfängt mich persönlich, ein höflicher, vor Energie strotzender junger Mann. Er erklärt mir das Konzept seiner Firma und ist begeistert, daß ich ihn zu verstehen scheine, das Gespräch dauert eineinhalb Stunden, er nimmt sich Zeit, und Sympathie ist auch da, ich soll zu seinem Vortrag kommen, den er tags darauf halten will "14:00 Uhr", in Ordnung, 14:00 Uhr. Bevor ich gehe, werde ich in eine kleine Telefonzelle geschoben, ich soll mal schnell 3 Testbögen ausfüllen. De erste Frage , für was steht das Kürzel BMW kann ich nicht beantworten , ich habe auch bei langem Nachdenken keinen Schimmer von Ahnung, die anderen Fragen setzen ein wenig Physikkenntnisse voraus: In welche Richtung fährt ein Boot, wenn der Wind von vorne kommt und es sich um ein Segelboot handelt, und dann soll ich einen Werbetext für einen E Klasse-Wagen kreieren, Ich freue mich beim Gehen schon auf seinen Vortrag am nächsten Tag und plane maximal eine Stunde ein.

"Trotz des Aufschwungs und der zunehmenden Bekanntheit können sich kaum mehr als 8 Prozent aller Befragten vorstellen, selbst in einem Call Center zu arbeiten. Sie, meine Damen und Herren, sind meiner Einladung gefolgt, seien Sie herzlich willkommen," sagt am nächsten Tag der kleine Callcenter-Besitzer, der jetzt vorn in einem Sitzungssaal vor einer Tafel steht. Wir sind etwa 17 Zuhörer,

die meisten sind Frauen , ein älterer und zwei junge Männer sind auch dabei.

Zu Beginn müssen wir eine Verschwiegenheitspflicht unterschreiben und dann geht es los.


2. Sprecher:


Call Center sind...

Die Brücke vom Unternehmen zum Kunden.

Die Weiterentwicklung der klassischen Telefonzentrale zum Kundeninteraktionszentrum. Das Marketinginstrument der Zukunft. Eine zeitgemäße Organisationsform zur Kundenbetreuung und -gewinnung. Die "lächelnde Stimme" am Telefon- was beim Kunden so mühelos und entspannt

klingen soll , stellt hohe Anforderungen an die Beschäftigungen in Callcentern , die mit besonderen körperlichen und psychischen Belastungen verbunden sind. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Gründen: Obwohl sich die Handlungsabläufe im Call Center ständig wiederholen und meistens wenig Abwechslung bieten, müssen die Tätigkeiten mit einem hohen Maß an geistiger Präsenz geleistet werden.

Da die Kommunikation mit dem Kunden in aller Regel datenbankgestützt verläuft, muß der Agent parallel zum Gespräch die entsprechenden Informationen von einem Bildschirm ablesen und gleichzeitig neue Daten in den Computer eingeben. Die aus Zuhören , Erfassen, Sprechen und zielgerichteter Gesprächsführung entstehender Mehrfachbelastung kann schnell zu Ermüdungserscheinung und Konzentration führen, wenn Kurzpausen als Regenerationsmöglichkeit fehlen“.


Sprecherin:


Er geht während seines Vortrags hin- und her, sieht uns freundlich und scharf in die Augen, will uns bannen, wie ein Zauberer. - Oh, ja, denke ich, für den Mann zu arbeiten, Billigstrom oder Federkernmatratzen, Rentenfonds oder Urlaubsziele vermarkten, für den würde ich das glatt machen, nur im Hinterkopf ein ungutes Gefühl, wie könnte ich mit fremden Menschen telefonieren und ihnen im Auftrag von anderen fremden Menschen empfehlen und möglicherweise auch noch Dinge, die ich selbst überflüssig finde.


2. Sprecher:


So vielfältig die Aufgaben eines Call Centers sind, so unterschiedlich sind auch die Tätigkeitsprofile der Beschäftigten. Daher bieten Callcenter gute Einstiegs- und Aufstiegsmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus vielen Bereichen. EDV- Techniker, Einzelhandelskaufleute, Umschüler, Softwarespezialisten: Sie alle finden in der Call Center Branche ein ebenso dynamisches wie spannendes Berufsfeld.

Interessenten sollten allerdings über EDV-Grundkenntnisse verfügen sowie folgende Voraussetzungen mitbringen: Eine klare und nicht dialektgefärbte Aussprache, sprachliche Gewandtheit, problemorientierte Kommunikationsfähigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität (z.B. Bereitschaft zum Schichtdienst).


Sprecherin:


Alle Achtung, denke ich, der Mann spricht wie ein Buch, er transportiert das Gefühl, daß gerade die hier im Raum Versammelten zum Dienst am Kunden berufen sind. Die Lektion ist aber noch nicht zuende.


2. Sprecher:


Und jetzt stehen Sie bitte auf und bilden Sie mit mir einen Kreis, diese Übung machen wir jeden Morgen vor Arbeitsbeginn.


Sprecherin:


Er teilt kleine weiße Karten und ein Stück Tesafilm aus.


2. Sprecher:


Bitte kleben Sie Ihrem Nachbarn diese Karte auf den Rücken und schreiben Sie ihm einen positiven Satz drauf, jeder jedem, bitte.


Sprecherin:


Während das Gewusel unter den 14 künftigen Mitarbeiter beginnt, geht r an seinen Platz und trinkt einen Schluck Wasser, er ist schnell wieder in der Runde.


2. Sprecher:


So, und jetzt bitte im Kreis zwei Schritte vor, zwei zurück, in die Hände klatschen; 'Bulu-Bulu' rufen, zwei Schritte vor, zwei zurück..... Halt; jetzt die Arme weit nach oben, und immer wenn die Arme oben sind "mir geht es gut" rufen.


Sprecherin:


Alle rufen "mir geht es gut" und lachen verlegen, er beendet die Übung.


2. Sprecher:


Wenn wir jeden Tag vor Arbeitsbeginn Bulu-Bulu machen, werden wir Erfolg haben, Sie werden sehen.


Sprecherin:


Was bleibt, ist die Frage, was dieses kommerzielle Miteinander-reden, auf die organisatorische Spitze getrieben, bedeutet. Die Gesprächspartner kennen einander nicht. Sie kennen in aller Regel auch das Produkt nicht, über das sie reden. Der Callcenteragent wird geschult, auch Fragen zu beantworten, die er nicht beantworten kann. Er soll dem Kunden das Gefühl vermitteln, gut bedient zu sein.

So weit , so gut. Ich bestreite nicht die kommerzielle und gesellschaftliche Logik, das Produkt von seiner Vermarktung zu trennen.

Auch jeder neue Arbeitsplatz im Callcenter ist willkommen.

Aber miteinander reden?

Jorge Luis Borges beschreibt in der Erzählung "Die beiden Könige und die beiden Labyrinthe", wie ein arabischer König den König von Babylon besucht und von ihm in das berühmte Labyrinth (um den Gast ob seiner Einfalt zu verhöhnen, wie es in der Geschichte heißt) geschickt wird.

Der Gast schweift erschreckt und verwirrt bis zum Abend in den Gängen. Dann

erfleht er den Beistand Gottes und findet die Tür.

Von seinen Lippen kommt keine Klage, Doch er sagt dem Babylonier zum Abschied, daß er in Arabien ein noch besseres Labyrinth habe.

Zurück in seiner Heimat sammelt er sein Heer, kehrt zurück, verwüstet Babylon und schleift die Festungen. Er nimmt den König von Babylon gefangen und bindet ihn auf ein Kamel. Mitten in der Wüste sagt er zu ihm: "Oh König der Zeit und der Beständigkeit, du Inbegriff des Jahrhunderts. In Babylon wolltest Du mich in einem Labyrinth aus Bronze verderben, mit vielen Treppen, Türen und Mauern; jetzt hat es dem Allmächtigen gefallen, daß ich Dir meines zeige, wo keine Treppen zu ersteigen, keine Türen auf zu stoßen und keine ermüdenden Gänge zu durchwandern sind und wo keine Mauern dir den Weg verlegen“.

Darauf bindet er ihn los und entläßt ihn in die Wüste.

Die Geschichte endet mit dem Satz: Ruhm sei bei Ihm, der nicht stirbt.

Miteinander reden ist ein Abenteuer, das ins Unerwartete führt. Am Ende können Freundschaften stehen, Enttäuschung, Verzweiflung, Liebe. Ein Gespräch kann an den Rand des Todes führen oder ein neues Leben bedeuten.

Ein gutes Gespräch ist wild, ehrlich, gnadenlos oder tröstlich. Das Ergebnis eines solchen Gesprächs ist nicht das Ziel, das der eine oder andere Gesprächspartner sich gesetzt hat. Die Wüste ist groß.

Während der Tests in einem Callcenter hatte ich den Auftrag, einer Firma, die BIG BOY hieß, Billigstrom zu verkaufen. Auftragsgemäß und dem Gesprächsleitfaden folgend sagte ich meinem ablehnenden Gesprächspartner, dass wir ihm Informationsmaterial zuschicken könnten und dass es ihn nichts kosten würde. „Doch“, sagte er ernst, „es kostet mich etwas -meine Zeit.“ Als ich meinem sympathischen Chef von dem Gespräch erzählte und hinzufügte, dass BIG BOY recht habe, sagte der Chef: „Sie sind zu ehrlich“. Er hätte ebenso gut „ungeeignet“ sagen können.

Ich habe da etwas verwechselt.

Zum Thema produktbezogene Kommunikation halten die Trainer der inzwischen stattlich angewachsenen Beratungsbranche für Unternehmen ein schönes Beispiel bereit:

Ein kleiner Junge wächst auf und bleibt stumm. Er spricht einfach nicht.

Die Eltern haben sich schon damit abgefunden, als er eines Tages mit 6 Jahren

laut und deutlich sagt: „Es ist zu wenig Vanillesauce da“. Die Eltern sind ganz aufgeregt. „Junge, Du kannst ja sprechen, warum hast Du denn nie etwas gesagt?“ Er antwortet: „Bisher war ja alles in Ordnung“.

Das nenne ich konsequent.

Handelt es sich bei dem, was die Trainer vermitteln überhaupt um Kommunikation?

Viele Hinweise, die bei den diversen Firmenschulungen gegeben werden, sind richtig und gut und vernünftig, weil sie an den realen psychischen Konstellationen anknüpfen und Gespräche möglichst perfekt imitieren.

Es sind „Als-ob“-Gespräche, die ein bestimmtes Handeln provozieren sollen. Alles, was das Leben bietet, wird aufgegriffen, in Portionen aufgeteilt, in Schlagworte verpackt, zielgerichtet eingesetzt. Je besser der Trainer ist, desto mehr nimmt er aus dem „Wilden Leben“ herüber und macht es sich zunutze.

Das perfekte Gespräch mit Kunden oder Mitarbeitern unterscheidet sich von einem wirklichen Gespräch nur in einem Punkt: Es ist kein Gespräch.

Hegel und seine marxistischen Erben würden sagen: Es gibt nichts Richtiges im Falschen.

Mehr und mehr merke ich, dass ich für Callcenter ungeeignet bin. Ich versuche doch tatsächlich, mit den Kunden zu reden, am Ende steht womöglich eine Verabredung, was war doch gleich das Produkt, Federkernmatratze oder war es Billigstrom?

Wie kann ich an meinen Verkaufsauftrag denken, wenn der Kunde von einem persönlichen Problem spricht und ich ihm vielleicht von meinen Erfahrungen berichte?

Das, würde ein erfahrener Verkaufstrainer sagen, ist eine phantastische Basis für einen geschäftlichen Erfolg. Eine emotionale Basis ist vorhanden, die Bindung ist hergestellt, jetzt muß man nur noch die Kurve kriegen, um das Produkt an den Mann zu bringen.

Ich kriege die Kurve nicht.

Regie: Telefonklingeln im Hintergrund.


Ich stelle mir vor, Humpty Dumpty arbeitet im Callcenter.Ich bin die Kundin Alice.

"Hallo, ich bin Alice. Ich bin als Verkäuferin ungeeignet. Was können Sie mir raten?"


Erzählerstimme:


"Das ist Unsinn.


Sprecherin:


"Ich verstehe nicht..."




Erzählerstimme:


"Jeder kann verkaufen. Warum solltest gerade Du nicht verkaufen können? Hältst Du Dich für etwas Besonderes?"


Sprecherin:


"Ich dachte immer, es ist etwas Besonderes, wenn man verkaufen kann...."


Erzählerstimme:


"Dachtest, dachtest... Ich weiß es besser. Warum sollte man überhaupt mit jemandem reden, wenn man nicht etwas kaufen oder verkaufen will? Das ist auch bei Dir nicht anders."


Sprecherin:


"Aber manchmal frage ich nur höflich nach dem Befinden oder will etwas erzählen."


Erzählerstimme:


"Da hast Du's".


Sprecherin:


"Was habe ich?"


Erzählerstimme:


"Den Beweis".


Sprecherin:


"Wofür?"


Erzählerstimme:


"Du willst etwas erzählen. Etwas Verkäuferischeres habe ich noch nie gehört."


Sprecherin:


"Aber dann ist ja alles Kaufen und verkaufen, was auch immer man sagt."


Erzählerstimme:


"Genau".


Sprecherin:


"Ich wüßte gern......."


Erzählerstimme:


"Adieu".


ENDE