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Cafe Pinguin

Der Markt

Liebe Zwischen den Welten

Arie, der Totengräber

Miriam Loewy

Liebe Zwischen den Welten


Mazziad ist verwirrt. Er bekommt keine Luft. Er lehnt sich gegen die kühle, moosbewachsene Häuserwand in der Altstadt von Akko. Akko hat eine labyrintisch verschlungene Altstadt. Der betäubende Duft der Gewürze mischt sich mit dem Geruch von Fisch und Meer. Es ist eben jenes Akko, wo die Kreuzfahrer landeten, um das Heilige Land zu erobern, im Norden Israels nahe der libanesischen Grenze gelegen. Seinen Kopf auf den Arm gedrückt, versucht Mazziad wieder zu sich zu kommen."Es ist wie in Beirut 1981, das sind die Reste des Schocks von damals", sagst er laut, um sich zu beruhigen. Damals, 1981, versuchte die israelische Armee, Arafat und seine Leute in Beirut einzukreisen. Mazziad war dabei, als Soldat der israelischen Armee. Er ist Druse.

Von allen Arabern dienen nur die Drusen und die Beduinen in der israelischen Armee. Die Drusen sind Araber, die dem Islam den Rücken gekehrt haben. Sie gehören einer Geheimreligion an, von der Außenstehende kaum etwas wissen. Eine der wenigen bekannten Maximen dieser Religion ist die, daß ihre Mitglieder keinen eigenen Staat gründen dürfen und daß sie dem jeweiligen Gastgeberland, in dem sie leben, loyal ergeben sein müssen.

Die Beduinen, durch Lebensweise und Gebräuche von den anderen Arabern abgesondert, verfügen dank ihrer jahrhunderter langen Wandererfahrung über ungewöhnliche Kenntnisse des Landes und insbesondere der Wüste, was sie für die israelische Armee besonders wertvoll macht. Beide Gruppen, die Beduinen und die Drusen sind bei den christlichen und moslemischen Arabern unbeliebt und verachtet, sie gelten als Verräter.

Das verhindert jedoch nicht, daß Geschäftsinteressen, Handel und die jahrhundertealte Nachbarschaft im Alltag eine Normalität des Umgangs hervorgebracht haben, die das Leben nebeneinander ermöglicht. Die Unterschiede bleiben bestehen und sind allen immer bewußt.


Mazziad löst sich stöhnend von der alten Häuserwand und sieht zu, daß er so schnell wie möglich aus der Altstadt herauskommt, es ist der Teil der Stadt, der ihn an den Einsatz in Beirut erinnert.

Er läuft durch den alten Basar, durch die kleinen engen Gassen, in denen unzählige Händler ihre Waren anbieten, Gewürze, Schmuck, Gemüse, Kleider, er rempelt Menschen an, die ihm entgegenkommen, sein großes Gesicht ist naß von den Schweißperlen, die in seinen blauen Hemdkragen tropfen.

Im Bistro an der Bushaltestelle, die er schnaufend erreicht, bestellt er sich einen Bitter Lemmon und setzt sich an einen kleinen Tisch, sein Atem wird ruhiger.

Als seine Freundin, eine junge jüdische Israelin, sich lachend an seinen Tisch setzt, trommeln seine schönen braungebrannten Hände immer noch auf dem Tisch. Er läßt eine kleine Streichholzschachtel zwischen seinen langen, breiten Fingern hin- und hergleiten.

Er und seine Freundin können sich weder im Kibbuz, in dem sie lebt, noch in seinem Dorf treffen. Weder seine Familie noch ihre würden diese Verbindung dulden.

Deshalb treffen sich die beiden immer wieder in Akko, um dann gemeinsam, fern ihrer Familien, ihre Liebe in Haifa, Tel Aviv oder Jerusalem zu leben.

Sie sprechen Hebräisch miteinander, obwohl sie, seine Freundin auch ein wenig Arabisch sprechen kann. Er spricht Hebräisch, als wäre es seine Muttersprache. Er hat Hebräisch in der Armee gelernt.

Er lebt zwischen den Welten.

Die Welt, aus der er kommt, ist ein kleines drusisches Dorf zwischen der Hafenstadt Haifa und dem See Genezereth, in den galiläischen Bergen.

Das drusische Dorf heißt Ramee und liegt inmitten vieler arabischer Dörfer, die an den galiläischen Berghängen kleben wie kleine löchrige Waben aus Beton.

Mit seinen 1.200 Einwohnern ist Ramee ein armes, primitives Dorf.


Den Bewohnern von Ramee gehören Olivenhaine in der Umgebung und zwei alte Ölmühlen, in denen jedes Jahr, nach der Olivenlese, im August und September die Oliven zwischen riesigen schwarzen Mühlsteinen gepreßt werden.

Während der Olivenlese sieht man in den Olivenhainen viele arabische und drusische Familien, die sich in ihren bunten Kleidern mit langen Decken unter den Ölbäumen tummeln. Die Decken werden unter die Bäume auf die Erde gelegt, und die Männer bearbeiten die silbriggrünen Ölbäume mit Harken, die sich wie Kämme an die Zweige krallen, und die dann der Länge nach an den Ästen entlanggezogen werden, bis die reifen Oliven auf die Decken fallen. Dort trennen Frauen und Kinder die Früchte von den Blättern. Sind die Decken mit sich türmenden Haufen von grünen und schwarzen Oliven gefüllt, werden die vier Eckzipfel der Decken aneinandergebunden und als riesige Säcke auf die am Straßenrand bereitstehenden kleinen Lastwagen geladen, die die Ernte zur Mühle bringen.

Die Kernfladen, die nach dem Pressen als Abfall zurückbleiben, werden von den Dorfbewohnern als Heizmaterial benutzt. Wenn sie verbrannt werden, liegt über den Dörfern ein wunderbar kernigwürziger Duft, der in der Gegend zum Winter gehört.

Eine andere Einnahmequelle der kleinen Dörfer sind kleine Schneidereien, in denen die Mädchen aus den Dörfern zu Billigstlöhnen für die israelische Textilindustrie arbeiten. Geleitet werden diese kleine Schneidereien von arabischen Männern oder von jüdischen Frauen aus den Nachbarstädten.

In der kleinen Dorfschule ist Mazziad Lehrer für Sport und Geschichte.

Er ist groß und breit, seine Hände sind weich und riesig, oft versucht er seinem Gesicht einen ernsten Ausdruck zu geben, um seiner Rolle als Lehrer gerecht zu werden.

Alle Männer des Dorfes haben in den letzten 40 Jahren mindestens drei Jahre ihres Lebens in der israelischen Armee gedient. Sie sind dadurch drei Jahre außerhalb der kleinen engen Dorfgemeinschaft gewesen, in der jeder jeden kennt und fast jeder mit




jedem verwandt ist. Einige von den Männern sind kriegsverletzt, sie beziehen eine Pension von der israelischen Armee und sind dadurch wirtschaftlich von ihren Familien unabhängig.

Nag'ib, zum Beispiel, Mazziad engster Freund hat im Sechs-Tage-Krieg einen Arm verloren, er bezieht eine hohe Kriegsversehrtenrente von der israelischen Armee und kann er sich sogar einen Volvo leisten, mit dem er immer wieder bei jüdischen wie arabischen Freunden auftaucht. Bei den einen gilt er als Held und bei den anderen als Verräter.

Mazziads jüngerer Bruder betreibt ein kleines Geschäft in Haifa, dort verkauft er Handarbeiten, Teppiche und Stickereien, die von den Dorfbewohnern für ihn gefertigt werden. Sein Vater sitzt den Großteil des Tages in dem kleinen Teehaus des Dorfes, er geht keiner Arbeit mehr nach, hin und wieder gesellt er sich zu seinem jüngsten Sohn und verbringt mit ihm den Tag im Geschäft. Selten fährt er mit Mazziad, der schon zweimal geschieden ist und dessen Lebensführung außerhalb des Dorfes ihm mißfällt, zum Angeln.

Die Mutter, eine dünne, feingliedrige, weißhaarige Frau, immer barfuß, hütet das Haus. Sie wirkt verträumt und abwesend mit ihren traurigen Augen und den langsamen vorsichtigen Bewegungen. Und doch dirigiert sie die Familie, sie ist diejenige, auf die alle hören, die alle befragen, eine seltsame, stille Stammesmutter.

azziad hat ihr noch keine Enkelkinder gebracht, sie will auch von ihm, dem Ältesten, Enkelkinder haben, aber die Tatsache, daß er schon zweimal geschieden ist, macht es schwer, eine dritte drusische Frau für ihn zu finden, und eigentlich will er auch gar nicht mehr. Er hat genug vom Ehehandel mit anderen drusischen Familien, genug von den Hochzeitszeremonien und der Eingebundenheit im Dorfleben, die seine Bewegungsfreiheit so unerträglich beschränken würde. Er will das alles nicht mehr und doch er weiß, daß er eines Tages wieder heiraten wird, eine Frau aus seinem oder aus einem Nachbardorf. Sie werden es ihm nicht erlassen, seine traditionellen Eltern,



und er wird dem nicht ausweichen können, es sei denn, er würde alles aufgeben, aus dem Dorf wegziehen und sich ganz in die israelische Gesellschaft begeben, die ihn nicht als gleichberechtigt akzeptiert.

Seine erste Frau hat schon in der Hochzeitsnacht den Verstand verloren. Sie wollte nicht mit ihm verheiratet werden. Sie liebte einen anderen Mann aus dem Dorf. Ihre und seine Eltern gaben ihrem Betteln nicht nach, der Handel war abgeschlossen und die Liebe würde später kommen.... Drei Monate nach der Hochzeit willigte er in die Scheidung ein. Die drusische Scheidung besteht aus einem vom Ehemann ausgesprochenen Vertreibungsspruch, der die Ehe unwiederruflich auflöst.

Seine junge Frau war nach der Trennung ein Jahr in psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus, ehe sie ihrer Arbeit als Näherin in einer kleinen Schneiderei im Nachbardorf wieder nachgehen konnte.

Eine neue Ehe mit dem von ihr geliebten Mann war nicht mehr möglich; geschiedene Frauen haben keinen Wert in den Traditionen dieser Gesellschaft, weil eine von einem Mann verjagte Frau sich schon einmal, egal aus welchen Gründen, als unwert erwiesen hat.

Seine zweite Frau konnte keine Kinder bekommen. Drei Jahre haben sie es miteinander und mit der Erwartung der Eltern aus beiden Familien ausgehalten, dann gab er ihr die

Scheidung. Es ist selten, daß drusische Eheleute zusammenbleiben, wenn sich kein Nachwuchs einstellt. Solche Paare können meist nicht in der Umgebung ihrer Familien weiterleben, denn Kinderlosigkeit gilt als eine Strafe für Untaten, die sogar Generationen früher stattgefunden haben können.

Nach dieser zweiten Scheitern seiner Ehe wollte Mazziad nicht mehr heiraten.

Er verlegte sein Privatleben in die israelischen Städtet, wo er sich ohnehin lieber aufhielt und sich manchmal sogar als Jude ausgab.




Irit, seine Freundin, weiß, daß er Druse ist. Sie weiß auch, was es bedeuten würde, wenn jemand im Kibbuz erfahren würde, daß sie "mit einem Araber geht", wie man dort sagt. Ihre Eltern würden ihr erst ruhig und vernünftig ins Gewissen reden, dann würde ihre Mutter weinen, ihr Vater würde kein Wort mehr mit ihr sprechen und ihre Brüder würden sie fragen, ob es nicht mehr genug jüdische Jungen gibt. Sie alle würden sie auf die Perspektivlosigkeit dieser Verbindung für die Zukunft hinweisen und am Ende würden sie sie eine Araberhure nennen. So ist es also gut, daß niemand aus ihrer Umgebung etwas über ihre Liebe zu diesem Mazziad, dem "Steinbeißer", wie sie ihn nennt, weiß.

Ihre Verabredungen finden an zwei Tagen in der Woche immer zur gleichen Zeit im Bistro des kleinen Busbahnhofs von Akko statt. Wichtige Nachrichten hinterlegen sie bei dem Kioskbesitzer, gleich neben dem Bistro.

In den kleinen Großstädten Israels mieten sich die beiden in einem Hotel, in einer Pension, manchmal in einer richtigen Absteige ein, je nachdem, wie ihre finanzielle Lage es erlaubt. Mazziad ist in diesen Unterkünften bekannt, Irit ist nicht seine erste jüdische Freundin. Die Beziehung zwischen den beiden ist auf das Jetzt fixiert, ohne ein Morgen, ohne Pläne, ohne Versprechungen.

Wenn sie politisch miteinander diskutieren, nennt ihn Irit manchmal Kanonenfutter, auch sie, als Israelin, die die Armeezeit schon absolviert hat, schätzt seine Zugehörigkeit zur israelischen Armee nicht. Das hat sie mit seinen moslemischen Gegnern gemeinsam.

"Wenn Israel tatsächlich in einem Krieg von den Arabern besiegt werden würde, wärst Du ein armer Teufel; Dich würden die Sieger noch übler zurichten als uns, oder?" Mazziad sieht sie ruhig an, nickt bedächtig, nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und grummelt: "Deshalb dürfen wir nicht besiegt werden". Er legt die Zigarette in den Aschenbecher und nimmt ihren Kopf in seine großen Hände, er sieht




ihr in die Augen und reibt seine Nase liebevoll an der ihren. Wenn es um Politik geht, behagt ihr das Wort 'wir' aus seinem Mund nicht. Als in den Nachrichten der Bericht über einen Rachemord in einem drusischen Dorf kommt, ein Mann hat seine Schwester getötet, weil sie durch einen Flirt Schande über die Familie gebracht hat, brüllt sie ihn an: "Ihr seid Tiere, es gibt kein 'wir' zwischen uns, sieh mal, was Deine Leute machen!"

Mazziad bleibt ruhig, "Nimm mal an", sagt er gelassen, " Dein Vater wäre orthodoxer Jude. Du würdest meinetwegen verstoßen, er würde Euren Gott anrufen, -Ich habe keine Tochter mehr- brüllen, und Du würdest ihn bis zum Tag seines Todes nicht wiedersehen, Euer Haus nicht mehr betreten. Das ist wie Totsein, das ist eine andere Art von Tötung". Er lächelt, nimmt ihre Hand in seine. "Und daß ich in Eurer Armee diene, mein Leben riskiere, nützt mir auch nichts.

Aber ich weiß genau woher ich komme, ich weiß genau, woher Du kommst, darum müssen wir unser Leben von unserem Hintergrund abtrennen. Wir wollen zusammen sein, ohne jemanden Rechenschaft zu geben, aber wir müssen immer wissen, wohin wir gehören, für den Tag X, für den Tag, an dem Du einen Juden heiraten wirst und ich wieder eine Drusin. Dann wird Dich niemand mehr Araberhure nennen und mich einen Hurenbock".

Er bricht seine Gedanken plötzlich ab, hat keine Lust mehr zu dieser ihn immer begleitenden Klarheit, die alles begrenzt, alles verdirbt.

Irit studiert Architektur in Haifa. Das gibt ihr die Freiheit, häufig aus dem Kibbuz

wegzubleiben, ohne daß jemand Verdacht schöpft.

Sie ist zwanzig, er ist dreißig Jahre alt, manchmal führt er sie, wie er sagt, in das Nachtleben von Tel Aviv ein. Dort hat er viele Freunde aus der Armee. Einige von ihnen haben Restaurants aufgemacht, zwei sind Barbesitzer, einer ist Autohändler. Sie haben schon immer seine 'gute Hand' für schöne Frauen bewundert; sie sind




freundlich und gastlich zu Irit und geben ihr das Gefühl, willkommen zu sein.

Seit der zweiten Scheidung von Mazziad sind drei Jahre vergangen, seine Eltern verhandeln mit potentiellen Brauteltern aus anderen drusischen Dörfern. Mazziads Vater nimmt Mazziad öfters ins Gebet: "Füg Dich in unser Dorfleben ein, die Menschen hier sehen Deinem Treiben nicht gern zu, Du bist Lehrer, Du mußt ein Beispiel geben." Mazziad winkt ab.

"Die Eltern der Mädchen halten Dich bald nicht mehr für eine gute Partie", drängelt der Vater, "zweimal geschieden, sagen sie, und Du bist nicht mehr jung". Mazziad wirft sich seine Jacke über die Schultern und verläßt die kleine Betonwabe seiner Eltern, in der er seit drei Jahren wieder lebt.

Mehrfach ist Mazziad nicht zur verabredeten Zeit im kleinen Bistro erschienen, er hat auch keine Nachricht bei dem Kioskbesitzer hinterlassen. Das ist der Punkt, der diese Liebe für Irit grausam macht. Sie kann nicht im Dorf anrufen, erfährt nicht, ob er krank ist oder ob etwas anderes Schlimmes passiert ist. Zur nächst fälligen Verabredungszeit geht sie nicht hin und hinterläßt auch keine Nachricht, und dann, beim nächsten Mal, als sie im Kiosk nachfragt und wieder keine Nachricht für sie da ist, schreibt sie auf einen kleinen Zettel "Meine Eltern haben mir eine Auslandsreise geschenkt, fahre in der nächsten Woche, bin in einem Monat wieder da, hoffe, bei Dir ist alles in Ordnung."

Sie gibt dem Kioskbesitzer den Zettel und er verspricht, ihn weiterzuleiten.

Irit fährt mit dem Schiff von Haifa ab, sie fängt ihre Route in Athen an und reist dann weiter, kommt über Italien, die Schweiz und Deutschland nach Paris.

Während ihrer ganzen Reise wird ihr die Enge ihrer Heimat klar. Sie genießt die Weite, die schönen grünen Landschaften und die offenen Grenzen in Europa. Sie genießt, daß es keinen interessiert, welcher Religion sie angehört, daß die Menschen, die sie unterwegs trifft, freundlich sind und ihr wertvolle Tips für ihre Zielpunkte geben.



Als sie nach einem Monat wieder in Israel landet, kommt sie sich wie eine satte Raupe vor, freut sich auf den Kibbuz, auf ihre Eltern, auf ihre Muttersprache und auf die Nachricht von Mazziad, die er ihr nach so langer Zeit bestimmt im Kiosk hinterlassen hat.

Sie sitzt im Bistro mit Freunden, die auch eine Europareise planen, tüftelt mit ihnen Routen aus, empfiehlt ihnen stolz Hotels und Lokale in fremden Städten, berichtet über Ausstellungen und Museen. Sie holt Prospekte heraus und gönnt jedem, der seine erste Reise vor sich hat, den 'Ausbruch', wie sie es nennt.

Der Mann im Kiosk hat keine Nachricht für sie, er hat Mazziad auch nicht mehr gesehen.

Irit geht ihrem Studium der Architektur weiter nach, bereichert um die Eindrücke, die sie aus Europa mitbringen konnte. Monate vergehen, ohne daß sie von Mazziad etwas hört. Zu Ihrer erfolgreich abgeschlossenen Prüfung bekommt sie von ihren Eltern ein kleines Auto geschenkt, sie nimmt eine Stelle in einem Architekturbüro in Jerusalem an und hält sich nur noch wenig im Norden des Landes.

An einer Tankstelle auf der Route Tel-Aviv/Haifa, als sie an der Kasse steht und eine Tankfüllung bezahlen will, steht auf einmal Mazziad hinter ihr. "Komm, laß uns sprechen", sagt er. Sie bezahlt ihre Rechnung und er setzt sich in ihren kleinen Wagen. "Es ist jetzt zwei Jahre her, " setzt er an, "daß wir uns zum letzten Mal gesehen haben".

"Ja", sagt sie "Du siehst gut aus, wie geht es Dir?" "Ich konnte es Dir damals nicht sagen." Er faßt in seine schwarzen Haare. "Ich bin verheiratet, habe schon eine kleine Tochter. Sie haben in einem Nachbardorf eine gute Frau für mich gefunden, ich konnte nicht ausweichen, und es ist auch richtig so." Er sieht sie verlegen an. "Und Du, denkst Du noch an unsere Zeit? Jetzt hast Du ein Auto, wie geht es Dir?". Sie schluckt, sieht ihn an, ihr Blick verschwimmt, sie freut sich und ärgert sich zugleich.




"Ach, komm", sagt er beschwichtigend, "sei nicht traurig, wir wußten beide, daß es so kommen wird, wir wußten nur nicht, wer von uns zuerst heiraten, zu seinen Wurzeln zurückkehren würde." Er streichelt über ihr Haar, sie schaut aus dem Autofenster, fixiert einen Punkt auf dem Hügel neben der Straße. "Ist bei Dir alles in Ordnung?" fragt sie beiläufig. "Ja," sagt er, "es ist alles in Ordnung". Sie beugt sich ruckartig vor, öffnet ihm schweigend die Tür, er steigt aus und sie fährt los.

Keiner wird von ihr je erfahren, daß sie fast zwei Jahre mit einem Araber 'gegangen' ist.

Sie werden sich nie wieder verabreden. Und wenn sie sich begegnen werden, zufällig, so wie heute, werden sie sich bestenfalls für den Bruchteil einer Sekunde länger ansehen als andere es tun, sie wird in der Gesellschaft ihrer Freunde sein, er in der Gesellschaft seiner Familie, zwei Welten, nebeneinander.



ENDE